Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 1. April 2025, Az. 3 K 60/23
Kernaussagen des Urteils
- Ein Privatgutachten kann zur Darlegung einer verkürzten Restnutzungdauer dienen
- EStG §7 Abs. 4 (2) schränkt diese Wahlmethode nicht ein
- die sachverständige Methode zur Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 4 Abs. 3 ImmoWertV 2022 (früher §6 Abs. 6 ImmoWertV 2010)
- Ermittlung der Restnutzungsdauer mittels Punkteraster-Verfahren ist als typisierende Vorgehensweise steuerlich anzuerkennen
- Eine fehlende Zertifizierung ist kein allgemeiner Ausschlussgrund
- Das Gutachten kann immer noch substantiert, sachgerecht und anzuerkennen sein
- Das Gesetz selber verlangt nicht nach einer bestimmten Zertifizierung und/oder Qualifikation
Urteil im Wortlaut
Leitsatz
Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint (BFH, Urteil vom 23. Januar 2024, IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823 im Anschluss an BFH, Urteil vom 28. Juli 2021, IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108).(Rn.57) (Rn.59) Auch ein privates Sachverständigengutachten kann Grundlage für die Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Restnutzungsdauer sein.(Rn.62)
Orientierungssatz
1. Entgegen den weitergehenden Anforderungen, die die Finanzverwaltung aufgestellt hat (vgl. BMF-Schreiben vom 22.02.2023, BStBl. I 2023, 332), ist die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 ImmoWertV 2022) als gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode anzusehen, die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann. Die in Anlage 4 der Sachwert-Richtlinie (inzwischen Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV 2022) vorgesehene Bestimmung über ein Punkteraster-Verfahren, in welchem Umfang die jeweiligen Modernisierungselemente die Restnutzungsdauer abhängig von der Gesamtnutzungsdauer modifizieren, ist als eine typisierende Vorgehensweise, die einer steuerrechtlichen Schätzung nicht fremd ist, anzuerkennen (vgl. BFH-Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23).(Rn.59) (Rn.62)
2. Allein der Umstand, dass der vom Steuerpflichtigen beauftragte Sachverständige weder über eine gesonderte Zertifizierung verfügt noch öffentlich bestellt oder vereidigt ist, führt nicht dazu, dass seine Ausführungen keine taugliche Schätzungsgrundlage darstellen. Das Gesetz selbst verlangt nicht, dass der Nachweis durch ein Gutachten eines in bestimmter Weise qualifizierten Sachverständigen erfolgt.(Rn.70)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten für die Streitjahre 2011 bis 2014 über die Berücksichtigung einer verkürzten Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) bei der Ermittlung der Höhe der Absetzung für Abnutzung (AfA) für verschiedene Immobilien.
I. Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die etliche Immobilien in ganz Deutschland besitzt und in den Streitjahren im Wesentlichen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielte. Zu den Immobilien gehören unter anderem die folgenden streitgegenständlichen Objekte:
A, K-Straße
Die Klägerin erwarb dieses mehrgeschossige Wohn- und Geschäftshaus in der A Innenstadt durch Kaufvertrag vom ... Februar 2011 zum Kaufpreis von ... € ohne Anschaffungsnebenkosten. Das ursprünglich im 19. Jahrhundert erbaute Gebäude wurde bis zum Erwerb durch die Klägerin mehrfach baulich verändert, erweitert und umgenutzt. Der Übergang von Nutzen und Lasten auf die Klägerin erfolgte im April 2011.
B, S-Straße
Die Klägerin erwarb das 1960 mit einem dreigeschossigen Geschäftsgebäude bebaute Grundstück durch Kaufvertrag vom ... November 2012 zu einem Kaufpreis ohne Nebenkosten in Höhe von ... €. Der Übergang von Nutzen und Lasten auf die Klägerin erfolgte zum ... März 2013.
C, L-Straße
Mit Kaufvertrag vom ... Juni 2013 erwarb die Klägerin dieses im Jahr 1956 errichtete Büro- und Geschäftsgebäude in einer Einkaufsstraße in der Innenstadt von C zu einem Kaufpreis von ... € ohne Nebenkosten. Mit Kaufpreiszahlung im Dezember 2013 gingen Nutzen und Lasten auf die Klägerin über.
D, W-Straße
Im Jahr 2014 (Eigentumsübergang ... Dezember 2014) erwarb die Klägerin dieses im Jahr 1949 errichtete, im Zentrum von D belegene Geschäftshaus zu einem Kaufpreis von rund ... € (ohne Nebenkosten).
II. Durch Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, die jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung ergingen, stellte der Beklagte neben im Einzelnen zwischen den Beteiligten nicht streitigen Einkünften aus Kapitalvermögen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung fest. Dabei berücksichtigte er ausgehend von der nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG typisierten Nutzungsdauer für die streitgegenständlichen Immobilien Abschreibungssätze in Höhe von jeweils 2 %.
Für das Veranlagungsjahr 2011 erging zunächst ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 28. August 2013 (...). Nach mehreren Änderungen wurden durch einen weiteren Änderungsbescheid vom 9. August 2018 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ... € festgestellt (...).
Für den Veranlagungszeitraum 2012 stellte der Beklagte erstmals durch Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 14. Juli 2014 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung fest (...). Nach mehreren Änderungen wurden durch einen weiteren Änderungsbescheid vom 19. Juli 2016 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ... € festgestellt (...).
Durch Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 19. Juli 2016 stellte der Beklagte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ... € fest (...).
Für das Jahr 2014 wurden durch Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 19. Juli 2016 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ... € festgestellt (...).
III. Gegen die Bescheide für die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2014 wandte sich die Klägerin mit Einsprüchen vom 2. August 2016 (...), eingegangen beim Beklagten am 5. August 2016, und gegen den Bescheid für das Jahr 2011 vom 9. August 2018 mit Einspruch vom 22. August 2018 (...). Mit ihren Einsprüchen begehrte sie für die jetzt noch streitgegenständlichen sowie einige andere Objekte aufgrund einer kürzeren tatsächlichen Restnutzungsdauer den Ansatz höherer AfA-Beträge nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG.
1. Zur Begründung legte die Klägerin verschiedene Privatgutachten des Sachverständigen E (im Folgenden: sachverständiger Zeuge) vor, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (siehe Gutachten vom 10. Dezember 2017, Bl. 219 ff. Allgemeines Grundstücke II für das Objekt in A; Gutachten vom 20. August 2017 sowie ergänzende Stellungnahme vom 31. Oktober 2018, Bl. 1 ff., 10 ff., 28 ff. Allgemeines Grundstücke V für das Objekt in B; Gutachten vom 23. September 2017 und ergänzende Stellungnahme vom 14. September 2019, Bl. 135 ff., 170 ff. Allgemeines Grundstücke V für das Objekt in C; Gutachten vom 16. April 2017 und ergänzende Stellungnahme vom 31. Oktober 2018, Bl. 199 ff., 216 ff. Allgemeines Grundstücke V für das Objekt in D). Der sachverständige Zeuge hatte für die einzelnen im Klageverfahren zwischen den Beteiligten noch streitigen Objekte folgende Restnutzungsdauern ermittelt:
Objekt
Stichtag
Restnutzungsdauer in Jahren
A, K-Straße
01.05.2011
31
B, S-Straße
01.04.2013
20
C, L-Straße
30.12.2013
18
D, W-Straße
01.01.2015
25
Dabei war der sachverständige Zeuge nach § 6 Abs. 6 der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Immobilien und der für die Wertermittlung erforderlichen Daten (Immobilienwertermittlungsverordnung - ImmoWertV 2010) vorgegangen und hatte anhand der jeweiligen Nutzungsgruppe unter Zuhilfenahme der Anlage 3 der Richtlinie zur Ermittlung des Sachwerts (Sachwertrichtlinie, SW-RL) eine Gesamtnutzungsdauer ermittelt und sodann unter Berücksichtigung der jeweiligen Modernisierungen anhand der Punktetabelle der Anlage 4 der SW-RL eine Restnutzungsdauer ermittelt, wobei die Punktevergabe in den einzelnen Gutachten jeweils näher erläutert wird.
Auf dieser Grundlage begehrte die Klägerin folgende Abschreibungssätze:
Objekt
Abschreibungssatz
A, K-Straße
3,23
B, S-Straße
5
C, L-Straße
5,56
D, W-Straße
4
2. Der Beklagte bat die jeweiligen örtlichen Finanzämter um Stellungnahme zu den durch die Klägerin vorgelegten Gutachten sowie um Aufteilung der Kaufpreise auf Grund und Boden und auf Gebäude. Daraufhin nahmen die angefragten Finanzämter zu den einzelnen Objekten Stellung:
A, K-Straße
Mit Schreiben vom 20. Februar 2018 ließ sich das Finanzamt A-Stadt dahingehend ein, dass gegen die vom Privatgutachter ermittelte Restnutzungsdauer von 31 Jahren grundsätzlich keine Bedenken bestünden. Der Privatgutachter habe die Restnutzungsdauer allerdings nach den Vorschriften der ImmoWertV ermittelt, was für einen Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht ausreiche (Bl. 207ff. Allgemeines Grundstücke II).
Mit Schreiben vom selben Tag teilte das Finanzamt A-Stadt das Ergebnis einer dort vorgenommenen Aufteilung des Kaufpreises in Wertanteile für das Gebäude sowie den Grund und Boden mit, der zufolge 54 % auf das Gebäude entfallen. In diesem Zusammenhang führte es aus, die Restnutzungsdauer von 31 Jahren sei realistisch eingeschätzt und werde entsprechend im Rahmen der "vereinfachten Kaufpreisaufteilung" berücksichtigt. Unter Berücksichtigung einer Gesamtnutzungsdauer von 70 Jahren ging das Finanzamt A-Stadt von einem fiktiven Baujahr von 1972 aus und ermittelte auf dieser Grundlage Herstellungskosten in Höhe von ... € je qm. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 20. Februar 2018 nebst anliegender Berechnung verwiesen, Bl. 213ff. Allgemeines Grundstücke II.
B, S-Straße
Mit Schreiben vom 18. Juli 2016 nahm das Finanzamt B zur Aufteilung des Kaufpreises Stellung. Dabei ermittelte es einen Gebäudewertanteil von 82,75 %, indem es die Bodenwertverzinsung ins Verhältnis zum Rohertrag setzte. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme verwiesen (Bl. 49 Allgemeines Grundstücke V).
In seiner baufachlichen Stellungnahme vom 3. November 2017 (Bl. 7 Allgemeines Grundstücke V) teilte das Finanzamt B mit, das vorgelegte Gutachten erbringe nicht den Nachweis einer verkürzten Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG. Die Definition der wirtschaftlichen Nutzungsdauer im Sinne dieser Vorschrift sei nicht identisch mit der Nutzungsdauer nach Maßgabe der ImmoWertV beziehungsweise der SW-RL, die den Ermittlungen und Gutachten der Sachverständigen zugrunde lägen.
C, L-Straße
Das Finanzamt F nahm mit Schreiben eines Bausachverständigen der Finanzverwaltung ... vom 31. Oktober 2018 dahingehend Stellung, dass die in dem durch die Klägerin beigebrachten Gutachten ermittelte Restnutzungsdauer von 18 Jahren nicht als verkürzte Restnutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG anerkannt werden könne, da sich der Nachweis im Wesentlichen auf eine Modellbetrachtung entsprechend der Verkehrswertermittlung beziehe. Im Rahmen des Nachweises einer kürzeren Nutzungsdauer sei Stellung zu dem Zustand des Gebäudes zu nehmen, insbesondere hinsichtlich seiner nutzungsdauerbestimmenden Elemente (Rohbau) (Bl. 150ff. Allgemeines Grundstücke V).
Im Rahmen seiner Kaufpreisaufteilung vom 5. November 2018 legte der Bausachverständige des Finanzamts F für die Berechnung die in dem durch die Klägerin beigebrachten Gutachten ermittelte Restnutzungsdauer von 18 Jahren zugrunde und veranschlagte infolgedessen einen Liegenschaftszinssatz von 6,5 %. Ausgehend davon ermittelte er einen Gebäudewertanteil von 68,89 %. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 31. Oktober 2018 verwiesen (Bl. 143ff. Allgemeines Grundstücke V).
D, W-Straße
Mit Schreiben vom 16. April 2018 führte eine Bausachverständige der Finanzverwaltung ... für das Finanzamt D aus, eine tatsächlich verkürzte Restnutzungsdauer für Zwecke der steuerlichen Abschreibung sei durch ein speziell hierfür anzufertigendes Gutachten nachzuweisen. Ein solches liege nicht vor. Eine verkürzte Abschreibung sei daher abzulehnen.
Im Rahmen ihrer für Zwecke der Kaufpreisaufteilung vorgenommenen Ertragswertermittlung setzte die Bausachverständige dem Gutachten der Klägerin folgend eine Restnutzungsdauer von 25 Jahren an und ermittelte auf dieser Grundlage einen Gebäudewertanteil von 67,42 %. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 16. April 2018 nebst anliegender Wertermittlung verwiesen (Bl. 206ff. Akte Allgemeines Grundstücke V).
3. Bei der Ermittlung der AfA-Bemessungsgrundlagen für die streitgegenständlichen Objekte legte das beklagte Finanzamt die von den jeweiligen örtlichen Finanzämtern ermittelten Kaufpreisaufteilungen zugrunde.
Während des Einspruchsverfahrens erkannte der Beklagte die verkürzten Restnutzungsdauern für zwei weitere seinerzeit noch streitige Objekte an und erließ am 12. Juni 2020 entsprechende Änderungsbescheide für die Streitjahre (...). Für das Jahr 2011 stellte der Beklagte dabei Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ... € fest.
Schließlich änderte der Beklagte auf die Einsprüche der Klägerin hin die angefochtenen Bescheide insoweit ab, als er für das Objekt in B einen AfA-Satz von 3 % anerkannte unter Hinweis auf die durch das Privatgutachten aufgezeigten erheblichen Mängel und insbesondere die im Gebäude zum Teil verbauten asbesthaltigen Baumaterialien. Auch hinsichtlich weiterer im Einspruchsverfahren zwischen den Beteiligten noch streitiger Objekte half der Beklagte ab, so dass für die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2014 geänderte Feststellungsbescheide ergingen (siehe Anlagen zur (Teil-)Einspruchsentscheidung vom 24. April 2023, ...), durch die der Beklagte für das Jahr 2012 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ... €, für das Jahr 2013 in Höhe von ... € und für das Jahr 2014 in Höhe von ... € feststellte. Im Übrigen wies er die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung vom 24. April 2023 zurück (...).
IV. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 15. Mai 2023 erhobenen Klage. Zu deren Begründung führt sie aus, es gehe in allen streitigen Fällen um die Frage der wirtschaftlichen Nutzungsdauer der Objekte. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räume dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein, ob er die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechenden Absetzungen vornehme. Das Gesetz fordere keine begründeten Ausnahmefälle, sondern schlicht eine Glaubhaftmachung der verkürzten Nutzungsdauer gegenüber der sich aus § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG rechnerisch ergebenden Nutzungsdauer. Die Nutzungsdauer sei im Regelfall im Wege der Schätzung zu ermitteln, da zumindest auch ungewisse künftige Ereignisse zu beurteilen seien. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer sei als die technische, könne sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Die Rechtsprechung stelle an den zu erbringenden Nachweis keine strengen Anforderungen. Der Beklagte lehne die durch sie, die Klägerin, als Nachweis für eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer vorgelegten Gutachten zu Unrecht ab und stelle entgegen den Vorgaben der Rechtsprechung des BFH allein auf den technischen Verschleiß ab, der durch ein Bausubstanzgutachten nachzuweisen sei. Substantiierte Einwendungen betreffend die Anwendung der gutachterlichen Methodik ihres Sachverständigen habe der Beklagte nicht erhoben.
Aufgrund der von ihr geltend gemachten Abschreibungssätze ermittelt die Klägerin folgende Abweichungen zu den vom Beklagten berücksichtigten Abschreibungsbeträgen:
...
...
Im Hinblick darauf beantragt die Klägerin,
für das Jahr 2011: Herabsetzung der festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von ... € um ... € auf ... €
für das Jahr 2012: Herabsetzung der festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von ... um ... € auf ... €
für das Jahr 2013: Herabsetzung der festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von ... € um ... € auf ... €
für das Jahr 2014: Herabsetzung der festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von ... € um ... € auf ... €
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, die durch die Klägerin vorgelegten Gutachten erfüllten nicht die Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 22. Februar 2023 und könnten vom Beklagten nicht anerkannt werden. Die Privatgutachten bezögen sich ausnahmslos auf eine Berechnung nach der ImmoWertV. Entgegen den Ausführungen der Klägerin, dass es sich allein um die Bewertung der wirtschaftlichen Nutzungsdauer handele, sei dies aus den bisher vorgelegten Gutachten und dem Vortrag der Klägerin nicht ersichtlich. Der Gutachter habe nicht unter Berücksichtigung der notwendigen Determinanten geprüft, was auch darauf zurückzuführen sein könne, dass er nicht über die durch das BMF-Schreiben geforderte Zertifizierung verfüge (Rn. 22). Mit dem bisherigen Vortrag der Klägerin lasse sich eine reduzierte wirtschaftliche Nutzungsdauer nicht begründen.
Zu der verkürzten wirtschaftlichen Nutzungsdauer sei anzumerken, dass sich diese denklogisch an der technischen Nutzungsdauer orientiere. Zur technischen Nutzungsdauer habe der Zeuge jedoch kaum Ausführungen gemacht. Die technische Nutzungsdauer stelle jedoch den Maßstab für eine etwaige verkürzte Nutzungsdauer dar. Die Gutachten ließen Ausführungen zu den wirtschaftlichen Gesichtspunkten als wesentliche Determinante vermissen. Insoweit verweise er, der Beklagte, auf die Ausführungen des Sachverständigen G, wonach es insbesondere auf objektbezogene oder regionale Besonderheiten ankomme. Die Darlegungen des Steuerpflichtigen müssten Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten wie z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussten und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden könne, im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln sei. Fraglich sei auch, ob das Modell zur Ermittlung der Restnutzungsdauer von Wohngebäuden (Anlage 2 bzw. 4 der SW-RL) überhaupt auf Geschäftsgebäude zu übertragen sei. Darüber hinaus würden vom Gutachter pauschal Punkte aufgrund der Anzahl an Jahren in Abzug gebracht, wie lange eine Maßnahme zurückliege. In der Anlage selbst sei jedoch ausgeführt, dass, wenn Maßnahmen weiter zurücklägen, zu prüfen sei, ob nicht weniger Punkte anzusetzen seien. Wenn hingegen die nicht modernisierten Bauelemente noch zeitgemäßen Ansprüchen genügten, seien mit einer Modernisierung vergleichbare Punkte zu vergeben. Dies habe der sachverständige Zeuge offensichtlich nicht unternommen.
Mangels Ermittlung und Auseinandersetzung mit den wesentlichen Determinanten entfalteten die Gutachten des sachverständigen Zeugen keine Aussagekraft und könnten im Verfahren keine Berücksichtigung finden. Zur Schätzung der streitigen Nutzungsdauer bedürfe es der Einschätzung eines gerichtlichen Sachverständigen.
Bei der Kaufpreisaufteilung seien zudem lediglich bei den Objekten in D und C die von der Klägerin gewünschten verkürzten Nutzungsdauern berücksichtigt worden, nicht aber bei den beiden Objekten in A und B. Insoweit seien die Kaufpreisaufteilungen ebenfalls auf die verkürzte Nutzungsdauer anzupassen, sofern das Gericht entgegen seiner, des Beklagten, Auffassung von einer verkürzten Nutzungsdauer ausgehe. Bei Ansatz einer verkürzten Restnutzungsdauer im Rahmen der Kaufpreisaufteilung fehle es der Klägerin bereits an einer Überschusserzielungsabsicht, so dass die Klage bereits aus diesem Grund abzuweisen sei.
V. Am 18. Januar 2024 hat das Gericht einen Beweisbeschluss erlassen, um durch mündliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen G Beweis über die tatsächliche Restnutzungsdauer der streitgegenständlichen Objekte zu erheben. Dazu hat der Sachverständige mit Schreiben vom 26. Februar 2024 Stellung genommen und unter anderem darauf hingewiesen, dass er für jedes der Objekte eine Restnutzungsdauer im Schätzwege nur auf der Grundlage einer marktgerecht und für Zwecke der steuerlichen Kaufpreisaufteilung durchgeführten Ertragswertermittlung mit Bodenwertermittlung ermitteln könne. Auf der Basis der Erträge und aller weiteren Umstände müsse ein Gebäudeertragswert bei einer marktgerechten Restnutzungsdauer ermittelt werden. Der so gefundene Wert sei dann anhand verschiedener Vergleichswerte zu plausibilisieren. Erschwerend komme hinzu, dass die Bewertungsstichtage lange zurücklägen, was aufgrund seiner, des Sachverständigen, Kenntnis der Marktgegebenheiten auch der Vergangenheit in Hamburg kein Problem darstellen würde, wohl aber in den vier Orten, in denen die Objekte belegen seien und über die ihm die jeweiligen Erkenntnisse fehlten.
Durch Beschluss des Senats vom 8. April 2024 ist der Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen worden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des sachverständigen Zeugen E. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 11. April 2024 verwiesen.
Mit Schreiben vom 22. Januar 2025 hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nach der Vernehmung des sachverständigen Zeugen nicht mehr für erforderlich gehalten wird.
Dazu hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 21. Februar 2025 dahingehend Stellung genommen, dass nicht die verkürzten, sondern die standardisierten Nutzungsdauern in die Kaufpreisaufteilung eingeflossen seien. So sei bei dem Objekt in A zwar im Text eine verkürzte Restnutzungsdauer angesprochen worden, diese habe jedoch in der Kaufpreisaufteilung keine weitere Berücksichtigung gefunden. Allein der Ansatz eines fiktiven Baujahres führe nicht zur Berücksichtigung der verkürzten Restnutzungsdauer im Rahmen der Kaufpreisaufteilung. Denn der Ansatz eines fiktiven Baujahres habe lediglich Auswirkung für die hypothetische Gesamtnutzungsdauer und die Bewertung der Normalherstellungskosten (NHK), wohingegen die verkürzte Restnutzungsdauer einen negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Bewertung des Gebäudes haben müsse. Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt, einen Sachverständigen damit zu beauftragen, die wirtschaftliche Restnutzungsdauer der streitgegenständlichen Immobilie zu bestimmen und deren Auswirkung auf die Kaufpreisaufteilung aufzuzeigen.
...
Entscheidungsgründe
I. Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin.
II. Die Klage hat Erfolg.
Die angefochtenen Feststellungsbescheide für die Jahre 2011 bis 2014 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), als der Beklagte bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung nicht die von der Klägerin erklärten verkürzten Nutzungsdauern gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt hat.
1. Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt (AfA in gleichen Jahresbeträgen, § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG); die Absetzung bemisst sich hierbei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG). Abweichend hiervon bestimmt sich die AfA für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude nach den festen Prozentsätzen des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG; die Regelung stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG dar.
Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob der AfA eine die gesetzlich (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG) vorgesehenen, typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls (BFH, Urteil vom 28. Juli 2021, IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108 unter Verweis auf BFH, Urteil vom 4. März 2008, IX R 16/07, BFH/NV 2008, 1310).
2. Die Darlegungs- und Feststellungslast für eine kürzere tatsächliche Restnutzungsdauer trägt der Steuerpflichtige (vgl. BFH, Urteil vom 23. Januar 2024, IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823; BFH, Urteil vom 28. Juli 2021, IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108). Die Nutzungsdauer ist zu schätzen. Eine solche Schätzung verlangt nach allgemeinen Grundsätzen keine Gewissheit, sondern vielmehr nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit (BFH, Urteil vom 23. Januar 2024, IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823 unter Hinweis auf BFH, Urteil vom 28. September 1971, VIII R 73/68, BFHE 103, 468, BStBl. II 1972, 176). Die Schätzung ist nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt (BFH, Urteil vom 28. Juli 2021, IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108). Die Würdigung der Schätzungsgrundlagen obliegt im Klageverfahren dem FG als Tatsacheninstanz (BFH, Urteil vom 28. Oktober 2008, IX R 16/08, BFH/NV 2009, 899; BFH, Beschluss vom 22. April 2013, IX B 181/12, BFH/NV 2013, 1267 jeweils mit weiteren Nachweisen).
a) Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint; erforderlich ist insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten - z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen - geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV), im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist (BFH, Urteil vom 28. Juli 2021, IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108).
b) Die Bestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein, ob er sich mit dem typisierten AfA-Satz nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zufriedengibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und darlegt. Auszugehen ist im Rahmen der vom Finanzamt durchzuführenden Amtsermittlung, bei der nach § 88 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) auch alle für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen sind, von der Schätzung des Steuerpflichtigen, solange dieser Überlegungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstellt. Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen nicht Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, ist sie nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt (BFH, Urteil vom 28. Juli 2021, IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108).
aa) Entgegen weitergehender von der Finanzverwaltung aufgestellter Anforderungen (vgl. BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023, BStBl. I 2023, 332) wird vom BFH dabei insbesondere auch die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 der Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14. Juli 2021 (ImmoWertV 2021), BGBl. I 2021, 2805) als gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode angesehen, die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann (BFH, Urteil vom 23. Januar 2024, IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823). Die in Anlage 4 SW-RL (inzwischen Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV 2021) vorgesehene Bestimmung über ein Punkteraster-Verfahren, in welchem Umfang die jeweiligen Modernisierungselemente die Restnutzungsdauer abhängig von der Gesamtnutzungsdauer modifizieren, wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als eine typisierende Vorgehensweise, die einer steuerrechtlichen Schätzung nicht fremd ist, ausdrücklich anerkannt (vgl. dazu BFH, Urteil vom 23. Januar 2024, IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823).
bb) Zwar genügt es nicht, allein durch eine schlichte Bezugnahme des Steuerpflichtigen auf die modellhaft ermittelte Gesamt- sowie Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG darzulegen und nachzuweisen. Vielmehr bedarf es für die Schätzung der Nutzungsdauer einer sachverständigen Begutachtung, die sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des Objekts (zum Beispiel durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen oder Modernisierungen, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 ImmoWertV 2021) verhält. Dabei ist jedoch nicht erforderlich, dass sich ein Sachverständigengutachten zu sämtlichen für die Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten verhält (BFH, Urteil vom 23. Januar 2024, IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823).
3. Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist das Gericht auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Sachverständigengutachten zu der Überzeugung gelangt, dass für die streitgegenständlichen Immobilien durch die Klägerin zutreffend die verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt wurde. Es ist der Klägerin gelungen, im Rahmen der erforderlichen Schätzung nachzuweisen, dass die von Gesetzes wegen anzunehmende typische Nutzungsdauer in den Streitfällen unzutreffend und eine kürzere Nutzungsdauer mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.
a) Die von der Klägerin zugrunde gelegte kürzere Nutzungsdauer beruht jeweils auf den durch den sachverständigen Zeugen im Rahmen von Privatgutachten für die einzelnen streitgegenständlichen Immobilien getroffenen Feststellungen, die dem Beklagten durch die Klägerin zur Verfügung gestellt worden sind. In den einzelnen Gutachten hat der sachverständige Zeuge nach Maßgabe von § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 und Anlage 4 SW-RL (Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen), die analog auch bei der Bewertung von Verwaltungs-, Büro- und Geschäftsgebäuden Anwendung finden kann (vgl. Fußnote 1 der Anlage), die Restnutzungsdauer der jeweiligen Gebäude geschätzt, ohne dabei den nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG angemessenen Schätzungsrahmen zu verlassen.
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Der sachverständige Zeuge hat nach sachlichen Kriterien für jedes der streitgegenständlichen Objekte nach jeweiliger Ortsbesichtigung Feststellungen etwa zum Zustand der Dächer, Außenwände, Fenster und Türen, Heizungsanlagen, Leitungen, Bäder, Grundrisse sowie dem Innenausbau der jeweiligen Objekte getroffen und ausgehend von einer in Abhängigkeit von der konkreten Nutzung des Objekts bestimmten Gesamtnutzungsdauer unter Berücksichtigung des Punkte-Rasters der Anlage 4 der SW-RL eine Restnutzungsdauer ermittelt. Er ist dabei konkret auf durchgeführte Modernisierungsmaßnahmen und deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Restnutzungsdauer eingegangen. Die Gutachten setzen sich damit mit den individuellen Gegebenheiten der einzelnen Immobilien und deren Zustand zum jeweiligen Stichtag auseinander.
Seine schriftlichen Ausführungen hat der Gutachter im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Vernehmung sachverständig erläutert und vertieft, wodurch seine Feststellungen zur jeweiligen Restnutzungsdauer weiter plausibilisiert wurden. Der Zeuge legte überzeugend und nachvollziehbar dar, dass er nach umfassender Besichtigung der Objekte und Auswertung zahlreicher Unterlagen (...) sowie Berücksichtigung etlicher Gesichtspunkte wie unter anderem des technischen Zustands der Objekte (soweit im Rahmen von Ortsbegehungen erkennbar), etwaiger rechtlicher Nutzungsbeschränkungen sowie für die (Weiter-)Vermietung relevanter Faktoren wie etwa Lage, Größe, Raumaufteilung zu seinen Einschätzungen gekommen ist.
b) Aufgrund der sachverständigen Ausführungen in den Gutachten sowie der ergänzenden Erläuterungen des sachverständigen Zeugen im Rahmen seiner Vernehmung sieht sich das Gericht in der Lage, sich eine Überzeugung über die im Einzelfall anzuwendende Schätzungsgrundlage zu bilden. Das Gericht schließt sich den überzeugenden Ausführungen des sachverständigen Zeugen an und macht sie zur Grundlage einer eigenen Schätzung der Restnutzungsdauer. Die von dem sachverständigen Zeugen vorgenommene modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer fußt auf den Erkenntnissen, die der Gutachter bei Inaugenscheinnahmen der Gebäude von außen und innen gewonnen hat, insbesondere zu jeweils vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen, vorliegenden Mängeln usw. Die Ausführungen des Sachverständigen setzen sich mit den Determinanten auseinander, die die Restnutzungsdauer letztlich maßgeblich beeinflussen wie technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Nutzungsbeschränkungen.
c) Einwendungen gegen die vom sachverständigen Zeugen im Rahmen des angewandten Modells getroffenen Feststellungen hat der Beklagte nicht (substantiiert) erhoben.
aa) Soweit der Beklagte meint, die durch den sachverständigen Zeugen erstellten Gutachten enthielten keine hinreichenden Ausführungen zur technischen Nutzungsdauer und auch keine Ausführungen zu wirtschaftlichen Gesichtspunkten als wesentliche Determinante, trägt dieser pauschale Einwand nicht. Der zur Beweisaufnahme hinzugezogene Bausachverständige des Beklagten hat im Gegenteil selbst ausgeführt, das Vorgehen des sachverständigen Zeugen sei in sich stimmig und sei, ausgehend von seinem Auftrag, nicht zu beanstanden. In der Sache moniert der Bausachverständige des Beklagten nur, die auf diese Weise isoliert ermittelte Restnutzungsdauer dürfe nicht mit der Frage verwechselt werden, wie lange ein Gebäude tatsächlich technisch nutzbar sei, was sich nur unter Berücksichtigung der Bausubstanz beantworten lasse. Diese Beanstandung zielt allein auf die Frage der Methodik ab, die zur Grundlage einer Schätzung der Restnutzungsdauer gemacht wird. Wie oben unter II 2. b) aa) dargestellt, erachtet die Rechtsprechung jedoch die durch den sachverständigen Zeugen angewandte Methodik zum Nachweis einer verkürzten Restnutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG für ausreichend und beanstandet sie nicht.
bb) Der vom Beklagten vorgebrachte Einwand, der Sachverständige habe unabhängig davon, wie lange eine Modernisierungsmaßnahme zurückliege, pauschal Punkte vergeben, ohne im Einzelfall zu prüfen, ob weniger Punkte anzusetzen seien beziehungsweise ob für nicht modernisierte Bauelemente, die nach wie vor zeitgemäßen Ansprüchen genügten, mit einer Modernisierung vergleichbare Punkte zu vergeben seien, ist ohne konkreten Bezug zu bestimmten Modernisierungsmaßnahmen beziehungsweise Objekten ins Blaue hinein vorgebracht und lässt so für das Gericht keine Zweifel an den Feststellungen des sachverständigen Zeugen aufkommen.
Der Vorwurf der schematischen pauschalen Punktevergabe lässt sich auch durch die Gutachten nicht belegen. Vielmehr zeigt sich, dass der sachverständige Zeuge die Vergabe von Modernisierungspunkten jeweils im Einzelnen konkret und auf das jeweilige Objekt bezogen begründet hat. So hat er etwa für die Objekte in B (Bl. 44 Allgemeines Grundstücke V) für die Modernisierung der Heizungsanlage die insoweit maximal vorgesehenen zwei Modernisierungspunkte mit der Begründung vergeben, es liege eine funktionsfähige Fernwärmeheizung ohne größere Mängel vor, ohne dabei auf den Zeitpunkt der Modernisierung der Heizungsanlage abzustellen und die Punktevergabe wie in der Tabelle vorgesehen, starr von einer Modernisierung innerhalb der letzten fünf Jahre abhängig zu machen. Auch im Gutachten für das Objekt in C findet sich ein Beispiel dafür, dass der Gutachter die Punkte nicht starr nach der Tabelle vergeben hat, sondern beispielsweise auch Modernisierungspunkte bei nicht vorgenommener Modernisierung vergeben hat. So sind in diesem Gutachten für die Grundrissgestaltung des Objekts in C zwei Modernisierungspunkte mit der Begründung vergeben worden, dass die älteren Grundrisse noch voll vermarktungsfähig seien (Bl. 189 Allgemeines Grundstücke V).
cc) Allein der Umstand, dass der von der Klägerin beauftragte sachverständige Zeuge anders als in anderen bereits durch die Gerichte entschiedenen Fällen weder über eine gesonderte Zertifizierung verfügt noch öffentlich bestellt oder vereidigt ist, führt nicht dazu, dass seine Ausführungen keine taugliche Schätzungsgrundlage darstellen. Das Gesetz selbst verlangt nicht, anders als etwa § 198 des Bewertungsgesetzes (BewG), dass der Nachweis durch ein Gutachten eines in bestimmter Weise qualifizierten Sachverständigen erfolgt.
dd) Auch die vom Finanzamt jeweils hinzugezogenen Bausachverständigen der örtlich zuständigen Finanzämter haben den auf der Grundlage der klägerischen Gutachten ermittelten Restnutzungsdauern im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 (BStBl. 2023, 332) lediglich unter Hinweis auf die angewandte Methodik eine Absage erteilt, ohne inhaltliche Mängel der Gutachten aufzuzeigen. Widersprüchlich erscheint das Vorgehen der örtlichen Bausachverständigen insoweit, als diese die durch den klägerischen Gutachter ermittelten Restnutzungsdauern nach eigenen Angaben dennoch bei der Durchführung der Kaufpreisaufteilung zu Grunde gelegt haben.
ee) Weitere inhaltliche Einwendungen gegen die Schätzungen der Klägerin, etwa durch eine abweichende, durch das Gutachten eines Bausachverständigen unterlegte Schätzung der Restnutzungsdauer, hat der Beklagte nicht vorgebracht.
d) Im Ergebnis hält das Gericht nach der ausführlichen Befragung des sachverständigen Zeugen im Rahmen der Beweisaufnahme vom 11. April 2024 entgegen dem zunächst erlassenen Beweisbeschluss vom 18. Januar 2024 die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht mehr für erforderlich, da mit den detailliert erläuterten Gutachten eine hinreichend sichere Schätzungsgrundlage für die jeweiligen Restnutzungsdauern vorliegt.
4. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht deshalb als (teilweise) rechtmäßig, weil die Kaufpreisaufteilung die verkürzten Nutzungsdauern nicht berücksichtigt habe und die AfA infolgedessen auf zu hohe Gebäudewerte vorgenommen worden sei.
Dieser durch den Beklagten vorgebrachte Einwand erscheint insofern nicht nachvollziehbar, als die örtlich zuständigen Finanzämter die durch den sachverständigen Zeugen in seinen Gutachten ermittelten Restnutzungsdauern für ihre Wertermittlung zu Zwecken der Kaufpreisaufteilung sogar übernommen haben.
So hat das Finanzamt A-Stadt unter Heranziehung einer Tabelle zu "Herstellungskosten von Mehrfamilienhäusern und gemischt genutzten Gebäuden" (Bl. 217 der Grundstücksakte II Allgemeines) ausgehend von der durch den Privatgutachter der Klägerin ermittelten Restnutzungsdauer von 31 Jahren unter Zugrundelegung einer Gesamtnutzungsdauer von 70 Jahren das Jahr 1972 als fiktives Baujahr ermittelt (2011 zuzügl. 31 Jahre Restnutzungsdauer abzügl. 70 Jahre Gesamtnutzungsdauer) und entsprechend diesem fiktivem Baujahr einen altersbezogenen Bebauungsabschlag von 20 % vorgenommen und aus dem entsprechenden Schaubild Herstellungskosten in Höhe von ... €/m² ermittelt, so dass sich die verkürzte Restnutzungsdauer über das fiktive Baujahr unmittelbar auf den im Sachwertverfahren ermittelten Wert des Gebäudes als auch den Grundstückswert ausgewirkt hat.
Für das Objekt in C hat der Bausachverständige im Einzelnen dargelegt, wie sich die Annahme der verkürzten Restnutzungsdauer von 18 Jahren auf den im Rahmen der Wertermittlung nach dem Ertragswertverfahren verwendeten Liegenschaftszinssatz ausgewirkt hat (siehe Seite 5 der Kaufpreisaufteilung vom 5. November 2018, Bl. 146 der Grundstücksakte V Allgemeines), so dass sich auch hier die verkürzte Restnutzungsdauer ersichtlich auf die Bewertung für Zwecke der Kaufpreisaufteilung ausgewirkt hat. Im Übrigen ist der Beklagte selbst in seinem Schriftsatz vom 16. Mai 2024 noch davon ausgegangen, dass die verkürzten Restnutzungsdauern bei den Kaufpreisaufteilungen jedenfalls der Objekte C und D Berücksichtigung gefunden haben.
Schließlich sah sich auch der Beklagte selbst nicht veranlasst, die für das Objekt in B durch das Finanzamt B vorgenommene Kaufpreisaufteilung zu verwerfen und eine geänderte Kaufpreisaufteilung zu Grunde zu legen, als er in seiner Einspruchsentscheidung teilweise abhelfend davon ausging, dass für das Objekt in B ein AfA-Satz von 3 % und damit eine verkürzte Restnutzungsdauer von 33,3 Jahren angemessen sei.
Im Übrigen hat der Beklagte auch jetzt nicht dargelegt, dass und gegebenenfalls inwiefern sich die Kaufpreisaufteilung für die einzelnen Objekte unter Zugrundelegung der von der Klägerin angesetzten Restnutzungsdauern verändern würden.
Im Hinblick darauf hatte das Gericht auch keine Veranlassung, die Frage der Kaufpreisaufteilung etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens weiter aufzuklären.
III. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
2. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung allgemein anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze.