
Urteile vom Bundesfinanzhof und Finanzgerichten zu Restnutzungsdauergutachten und Kaufpreisaufteilungen
In den letzten Jahren haben Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie verschiedener Finanzgerichte deutschlandweit maßgeblichen Einfluss auf die steuerliche Behandlung von Immobilieninvestitionen genommen. Besonders im Fokus stehen dabei Restnutzungsdauergutachten und Kaufpreisaufteilungen, die für die Berechnung der Abschreibung (AfA) von Gebäuden eine zentrale Rolle spielen. Diese gerichtlichen Entscheidungen schaffen Klarheit für Investoren und Steuerberater hinsichtlich der Zulässigkeit und Methodik solcher Bewertungen.
Der Bundesfinanzhof hat mit mehreren Grundsatzurteilen betont, dass steuerpflichtige Personen grundsätzlich das Recht haben, die tatsächliche Restnutzungsdauer eines Gebäudes durch ein Gutachten nachzuweisen. Die Gerichte betonen dabei die individuelle Betrachtung jedes Einzelfalls und haben pauschale Ablehnungen durch Finanzämter als unzulässig erklärt. Die Beweiskraft gutachterlicher Stellungnahmen wird in diesen Entscheidungen besonders hervorgehoben, insbesondere wenn sie nach anerkannten Standards erstellt wurden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Rechtsprechung liegt in der Kaufpreisaufteilung bei Immobilienkäufen. Hier haben mehrere Finanzgerichte sowie der BFH klargestellt, dass die pauschale Anwendung der Arbeitshilfe des Bundesfinanzministeriums nicht zwingend ist. Stattdessen können sachgerechte und marktorientierte Aufteilungen – beispielsweise unter Einbeziehung von Verkehrswertgutachten – zulässig und sogar vorzugswürdig sein, sofern sie nachvollziehbar begründet sind.
Für Immobilienkäufer, Steuerberater und Investoren sind diese Urteile von großer Bedeutung. Sie eröffnen rechtssichere Gestaltungsspielräume und ermöglichen eine präzisere steuerliche Planung. Wer auf fundierte Restnutzungsdauergutachten und marktgerechte Kaufpreisaufteilungen setzt, kann langfristig steuerliche Vorteile sichern und Konflikte mit dem Finanzamt vermeiden. Die aktuelle Rechtsprechung unterstützt diesen Weg und bietet eine wertvolle Orientierung für die Praxis.
Allgemeine steuerrelevante Urteile
Urteil des Bundesfinanzhof vom 28. September 1971, Az. VIII R 73/68
Kernaussagen des Urteils
- Grundsatz: 2,5% AfA für Altgebäude, Abweichung nur bei nachgewiesener Nutzungsdauer unter 40 Jahren.
- Maßstab ist die Nutzungsdauer beim jeweiligen Eigentümer, keine starre 100‑Jahre‑Grenze.
- Höhere AfA braucht konkrete Feststellungen; pauschale Erfahrungssätze genügen nicht.
- Ohne belastbaren Nachweis bleibt es bei 2,5%; Sache wurde zur Aufklärung zurückverwiesen.
Urteil des Bundesfinanzhof vom 11. August 1993, Az. X R 82/90
Kernaussage des Urteils
- Es ist Sache des Steuerpflichtigen, eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer gegenüber der typisierten AfA glaubhaft zu machen und nachzuweisen; die Würdigung der vorgelegten Umstände obliegt dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz.
Urteil des Bundesfinanzhof vom 4. März 2008, Az. IX R 16/07
Kernaussage des Urteils
- Maßstab der AfA: Entscheidend ist die tatsächliche Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 11c Abs. 1 EStDV, also die Zeit, in der das Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann.
- Kürzere wirtschaftliche gegenüber technischer Nutzungsdauer: Ist die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische, kann sie angesetzt werden, wenn eine wirtschaftlich sinnvolle anderweitige Nutzung endgültig entfällt.
- Einheitliches Wirtschaftsgut zerfällt: Bei einer funktional verbundenen Gesamtanlage (Paketverteilungsanlage) entfällt nach wirtschaftlichem Verbrauch wesentlicher Teilgebäude (Verteilungshallen nach Mietende) der einheitliche Nutzungs- und Funktionszusammenhang.
- Folge für die AfA: Die Gesamtanlage ist ab diesem Zeitpunkt in mehrere Wirtschaftsgüter aufzuteilen; eine einheitliche Abschreibung über eine fortgeschriebene Gesamtnutzungsdauer ist rechtsfehlerhaft.
- Verfahrensausgang: Das vorinstanzliche Urteil, das eine einheitliche 25‑jährige Nutzungsdauer zugrunde legte, wurde aufgehoben; die Sache wurde zur erneuten Tatsachenwürdigung (getrennte Betrachtung der Teile und ihrer Nutzungsdauern) zurückverwiesen.
Urteile im Kontext der Restnutzungsdauer
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 2. April 2025, Az. 14 K 654/23 E
Kernaussagen des Urteils
- Sachverständige Schätzung der Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der ImmoWertV rechtmäßig
- Tatsächliche statt typisierter Nutzungsdauer: Wahlrecht gestärkt
- Wirtschaftliche statt technischer Entwertung ausreichend
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 16. August 2023, Az.: 2 K 2449/18 E
Kernaussagen des Urteils
- Anschaffungsnahe Herstellungskosten bei Überschreiten der 15%-Grenze innerhalb von drei Jahren (inklusive Schönheitsreparaturen und altersüblicher/verdeckter Mängel)
- Stichtagsbezogene Kaufpreisaufteilung nach realen Verkehrswerten im Sachwertverfahren ohne Einfluss späterer Mieterhöhungen oder DCF-Ansätze
- Maßnahmen überschreiten 15%-Grenze, werden der AfA-Bemessungsgrundlage zugerechnet; nur geringe Korrekturen bei AfA und Werbungskosten, Klage weitgehend abgewiesen
Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29.06.2023, Az.: 2 K 290/17
Kernaussage des Urteils
- Für die Verkürzung der Nutzungsdauer und eine höhere AfA können Gutachten zulässig alle relevanten Faktoren kombinieren; die Finanzämter dürfen die Wahlfreiheit der Darlegungsmethode nicht beschränken, auch nicht unter Verweis auf das BMF-Schreiben vom 22.02.2023.
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 14. Februar 2023, Az. 1 K 3840/19 F und 1 K 3841/19 F
Kernaussagen des Urteils
- Das Finanzamt muss die AfA nach der nachgewiesenen kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer statt nach der Typisierung ansetzen.
- Jede geeignete Darlegungsmethode ist zulässig; ein spezielles Bausubstanz- oder ERAB-Gutachten ist nicht zwingend.
- ImmoWertV- und AGVGA-NRW-Modelle können die Restnutzungsdauer tauglich belegen.
- Eine zusätzliche Rentabilitätsberechnung ist keine Anerkennungsvoraussetzung.
- Die höheren AfA mindern die festgestellten Einkünfte je Jahr um 13.409,14 Euro; die Kosten trägt das Finanzamt.
Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20. Oktober 2022, Az. 6 K 1506/17
Kernaussagen des Urteils
- Der untergehende Nießbrauchswert beim Erwerb einer Miteigentumshälfte kann Anschaffungskosten erhöhen, wenn er in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Erwerb steht.
- Eine verkürzte AfA-Nutzungsdauer kann mit gutachterlicher Ermittlung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer (z. B. nach SWRL/ImmoWertV) nachgewiesen werden; ein ERAB-Gutachten ist nicht zwingend erforderlich.
Urteil des Finanzgerichts Köln vom 23. März 2022, Az. 6 K 923/20
Kernaussage des Urteils
- Eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer kann statt der typisierten AfA angewendet werden, wenn sie plausibel belegt ist.
- Ein ERAB‑Bausubstanzgutachten ist dafür nicht zwingend nötig.
- Ein Gutachten nach ImmoWertV/Anlage 4 kann die tatsächliche Nutzungsdauer belegen, wenn es methodisch nachvollziehbar ist.
- Im Fall wurde eine Nutzungsdauer von 31 Jahren anerkannt und die AfA entsprechend festgelegt.
- Die Anschaffungskosten wurden mit 43,96% Boden und 56,04% Gebäude aufgeteilt, und das Finanzamt muss neu berechnen.
- Die Kosten wurden zu 23% den Klägern und zu 77% dem Finanzamt auferlegt.
BFH-Urteil vom 4. März 2008, Az. IX R 16/07
Kernaussage des Urteils
- Vorgetäuschte Eigenbedarfskündigung: Fehlt die ernsthafte Nutzungsabsicht, haftet der Vermieter dem Mieter auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB.
- Kausalität: Zustimmung zur einvernehmlichen Beendigung oder unterlassene Weiterverfolgung des Prozesses unterbricht den Schadenersatzanspruch nicht, wenn der Eigenbedarf tatsächlich nicht bestand.
- Rechtsfolge: Neben Geldersatz kann der Mieter grundsätzlich auch die Wiedereinräumung seiner früheren Miet- und Besitzrechte verlangen.
Urteile im Kontext der Restnutzungsdauer (RND)
- Urteil des Finanzgerichts Münster vom 2. April 2025, Az. 14 K 654/23 E
- „Sachverständige Schätzung der Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der ImmoWertV rechtmäßig“
- Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 16. August 2023, Az.: 2 K 2449/18 E
- „Vom Gericht beauftragtes Gutachten zur Kaufpreisaufteilung ermittelt nebenbei kürzere Restnutzungsdauer“
- Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29.06.2023, Az.: 2 K 290/17
- „BMF-Schreiben steht laut Gericht im Widerspruch zur Wahlfreiheit bei der Darlegungsmethode einer kürzeren Nutzungsdauer“
- Urteil des Finanzgerichts Münster vom 14. Februar 2023, Az. 1 K 3840/19 F und 1 K 3841/19 F
- „Restnutzungsdauer kann nach der Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) ermittelt werden“
- Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20. Oktober 2022, Az. 6 K 1506/17
- „Nutzungsdauer muss mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit – nicht mit absoluter Gewissenhaftigkeit – nachgewiesen werden“
- Urteil des Finanzgerichts Köln vom 23. März 2022, Az. 6 K 923/20
- „Modellhaft ermittelte Restnutzungsdauer genügt – kein Bausubstanzgutachten notwendig“
- BFH-Urteil vom 4. März 2008, Az. IX R 16/07
- „Abschreibung von Gebäuden, die eine Gesamtanlage bilden“
Urteile im Kontext der Kaufpreisaufteilung - Aufteilung des Kaufpreises in Grund & Boden und Gebäude
Urteil des Bundesfinanzhof vom 21. Juli 2020, IX R 26/19
Kernaussage des Urteils
- Eine vertragliche Kaufpreisaufteilung darf nicht allein durch die BMF-Arbeitshilfe ersetzt werden, selbst wenn die Vertragsaufteilung offenkundig fehlerhaft wirkt.
- Die BMF-Arbeitshilfe bildet keine realen Verkehrswerte ab, weil sie auf das vereinfachte Sachwertverfahren verengt und ohne Regionalfaktoren für den Gebäudewert arbeitet.
- Bei Streit über die Kaufpreisaufteilung soll das Gericht in der Regel ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen einholen, sofern keine ausgewiesene eigene Sachkunde besteht.
- Im Ergebnis hob der BFH das FG-Urteil auf und verwies zurück: Die Vertragsaufteilung war nicht tragfähig, die bloße Ersetzung durch die Arbeitshilfe aber ebenfalls unzulässig.
Urteile im Kontext der Kaufpreisaufteilung (KPA)
- Urteil des Bundesfinanzhof vom 21. Juli 2020, IX R 26/19
- "Kaufpreisaufteilung auf Grund und Gebäude: FG darf die vertragliche Kaufpreisaufteilung nicht durch die mittels der Arbeitshilfe des BMF ermittelte Aufteilung ersetzen"
- Schlagworte: Jacoby-Methode