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Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29.06.2023, Az.: 2 K 290/17

Kernaussage des Urteils

  • Für die Verkürzung der Nutzungsdauer und eine höhere AfA können Gutachten zulässig alle relevanten Faktoren kombinieren; die Finanzämter dürfen die Wahlfreiheit der Darlegungsmethode nicht beschränken, auch nicht unter Verweis auf das BMF-Schreiben vom 22.02.2023.

Kurzüberblick

  • Eine GmbH, Eigentümerin einer Wohnanlage in typischer DDR-Plattenbauweise, ließ die Nutzungsdauer des Gebäudes gutachterlich deutlich niedriger ansetzen (25 statt 50 Jahre) und verdoppelte dadurch den jährlichen Abschreibungssatz von 2 auf 4 Prozent.

  • Das Finanzamt stellte diese Herangehensweise in Frage, passte die Steuerbescheide nach einer Betriebsprüfung an und lehnte die abweichende Nutzungsdauer ab.

  • Vor dem Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern setzte sich die Klägerin vollständig durch: Das Gericht akzeptierte die verkürzte Nutzungsdauer, gestützt auf eine Kombination aus technischem Verschleiß, wirtschaftlicher Entwertung und rechtlichen Rahmenbedingungen.

  • Das Urteil zählt zu den frühen Entscheidungen, die das BMF-Schreiben vom 22.02.2023 ausdrücklich thematisieren und dessen restriktive Vorgaben zur Nachweismethode als unvereinbar mit der BFH-Rechtsprechung zur Wahlfreiheit der Darlegung bewerten.

Ausgangslage: AfA mit 4 Prozent
Die klagende GmbH erwarb 2006 eine elfgeschossige Plattenbau-Wohnanlage aus dem Baujahr 1980. In den Jahren davor und danach wurden verschiedene Modernisierungen und Instandsetzungen umgesetzt, darunter:

  • 1991: Thermostatventile und -verteiler

  • 1992: neue Haustüren

  • 1995: Erneuerung der Aufzüge

  • 1997: Brandschutzmaßnahmen

  • 1998: Malerarbeiten in den Treppenhäusern

  • 2000: Strangsanierung (Erneuerung von Kalt-, Warm- und Zirkulationswasserleitungen, teilweise Elektro und Sanitär)

  • 2003: Neueindeckung des Norddachs, teilweise Fenstersanierung

  • 2011: Fassadensanierung und Austausch der restlichen Fenster

Zum Stichtag 30.11.2006 waren von 327 Wohnungen 210 vermietet; zusätzlich bestanden zwei vermietete Gewerbeeinheiten.

Gutachterliche Grundlage: kürzere Nutzungsdauer
Die Gesellschaft ließ beim TÜV ein Wertermittlungsgutachten erstellen (Beleihungs- und Marktwert). Aus dem baulichen Zustand leitete das Gutachten eine Restnutzungsdauer von 14 Jahren ab; bei Umbau und Modernisierung seien 30 Jahre erreichbar. Daraus wurde eine gegenwärtige tatsächliche Gesamtnutzungsdauer von 25 Jahren hergeleitet. Auf dieser Basis setzte die GmbH statt 2 Prozent eine jährliche Abschreibung von 4 Prozent an. Bei Anschaffungskosten von 4.173.987,63 Euro ergab sich so eine AfA von 166.959,50 Euro pro Jahr.

Prüfung und Einwände der Finanzverwaltung
Im Zuge einer Betriebsprüfung (2011–2013, Streitjahre 2006–2008) bezweifelte der Prüfer die Restnutzungsdauer. Kritisiert wurde insbesondere, dass die im Gutachten für den sanierten Zustand unterstellte Gesamtnutzungsdauer von 40 Jahren für Plattenbauten nicht nachvollziehbar belegt sei. Der Prüfer verwarf daher die erhöhte Abschreibung und verlangte die typisierte AfA von 2 Prozent gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG, da ein ausreichender Nachweis nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht geführt sei. Das Finanzamt Dresden Süd erließ daraufhin geänderte Bescheide (u. a. Körperschaftsteuer-Verlustvortrag, Gewerbesteuermessbetrag, vortragsfähiger Gewerbeverlust). Die GmbH legte Einspruch ein.

Argumentation der Klägerin
Die GmbH stützte sich auf die baufachliche Begründung ihres Sachverständigen. Dieser war beim Erwerb von einer wirtschaftlichen Nutzungsdauer von 28 Jahren ausgegangen; nach der späteren Fassadensanierung samt Wärmedämmverbundsystem (um 2014) habe der Hauptteil des Gebäudes eine Nutzungsdauer von 34 Jahren, während ein Nebenteil beim Erwerb lediglich 25 Jahre Restnutzungsdauer aufgewiesen habe. Die Klägerin führte aus:

  • Das Gebäude war bereits im ersten Streitjahr 27 Jahre alt.

  • Bisherige Maßnahmen beschränkten sich auf übliche Modernisierungen von Ausbauteilen; eine maßgebliche Verlängerung der Nutzungsdauer sei damit nicht verbunden.

  • Für die AfA sei die kürzeste der drei relevanten Nutzungsdauern (technisch, wirtschaftlich, rechtlich) maßgeblich; der Nachweis könne und solle alle drei Komponenten berücksichtigen.

  • Die auf dem TÜV-Gutachten basierende Kaufpreisaufteilung sei von der Finanzverwaltung akzeptiert worden und belege die Plausibilität des Gutachtens für Finanzierungszwecke; dies spreche auch für dessen Tauglichkeit bei der AfA-Bemessung.

  • Künftige Modernisierungen dürften die Restnutzungsdauer nicht rückwirkend verlängern; zu berücksichtigen seien nur zum jeweiligen Beurteilungszeitpunkt absehbare Verhältnisse.

  • Typische Schwachstellen von Plattenbauten ergäben sich aus Herstellungs- und Verarbeitungsmängeln der DDR-Zeit.

  • Standortbedingt sei eine stärkere Korrosionsneigung bei Stahlbetonbauteilen sowie eine erhöhte Windlastbelastung der Fenster (höchste Windlastzone) relevant.

Erwiderung des Finanzamts
Nach einem Sitzwechsel der Klägerin übernahm das Finanzamt Rostock die Zuständigkeit und holte eine baufachliche Stellungnahme eigener Sachverständiger ein. Deren Fazit: Das vorgelegte Privatgutachten belege keine verkürzte Nutzungsdauer. Kritische Punkte waren:

  • Die Ausführungen seien zu allgemein und bezögen sich eher auf Plattenbauten im Allgemeinen als auf konkrete Verschleißfaktoren des streitgegenständlichen Objekts.

  • Behebbare Mängel und ein veralteter Standard reichten nicht aus, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer zu begründen; ein substanzieller Rohbauverschleiß sei nicht nachgewiesen.

  • Aussagen zu nicht-konstruktiven Bauteilen mit dem Hinweis auf den Stand der Technik belegten keine außergewöhnliche Abnutzung.

  • Hinweise auf Ausstattungsstandard, Raumkonzept, Energieeffizienz, Barrierefreiheit, Lage-, Markt- und Objektrating seien keine tragfähigen Belege für Substanzverlust oder eingeschränkte wirtschaftliche Nutzbarkeit.

  • Die Anerkennung der Kaufpreisaufteilung bedeute nicht, dass das Finanzamt die im Gutachten zugrunde gelegte Nutzungsdauer für AfA-Zwecke gebilligt habe; die Doppelfunktion des Gutachtens sei nicht bekannt gewesen.

  • Auch in Ansehung des BFH-Urteils IX R 25/19 sei der Beweis für eine kürzere Nutzungsdauer nicht gelungen, da es an belastbaren Feststellungen zu technischem Verschleiß, wirtschaftlicher Entwertung oder rechtlichen Beschränkungen fehle.

Gerichtliche Entscheidung
Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern stellte mit Urteil vom 29.06.2023 fest, dass im Rahmen der Einkünfteermittlung aus Vermietung und Verpachtung nicht die gesetzliche Typisierung maßgeblich sei, sondern die von der Klägerin dargelegte kürzere tatsächliche Nutzungsdauer (Az. 2 K 290/17). Das Gericht hob einleitend einschlägige BFH-Entscheidungen hervor, wonach Steuerpflichtige den Nachweis einer geringeren Nutzungsdauer mit jeder geeigneten Darlegungsmethode führen können. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung sei es zulässig, technische Abnutzung, wirtschaftliche Rahmenbedingungen und rechtliche Faktoren miteinander zu verknüpfen, sofern dies dem Einzelfall entspreche. Der im Verfahren als Zeuge gehörte Sachverständige bestätigte diese Methodik.

Nach diesen Maßstäben sah der Senat den Nachweis einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer als geführt an. Die angenommene Restnutzungsdauer von 28 Jahren bewege sich im zulässigen Schätzkorridor; vom Finanzamt bemängelte Unstimmigkeiten im Gutachten seien nicht entscheidungserheblich. Das Gericht stellte zudem klar, dass das BMF-Schreiben vom 22.02.2023 die Wahlfreiheit der Darlegungsmethode nicht einschränken dürfe, da dies der höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspreche.

Kernaussage und Bedeutung
Das Urteil bekräftigt, dass Finanzämter bei der Prüfung einer von § 7 Abs. 4 EStG abweichenden Nutzungsdauer die freie Wahl der Nachweismethode respektieren müssen. Bei der Bestimmung der Restnutzungsdauer können technische Abnutzung, wirtschaftliche Verhältnisse und rechtliche Nutzungslimits gemeinsam berücksichtigt werden, sofern das Gutachten diese Faktoren substantiiert und in eine nachvollziehbare Gesamtschätzung integriert. Für Objekte in Plattenbauweise bedeutet dies, dass eine gut begründete, niedrigere Nutzungsdauer – und damit ein höherer jährlicher AfA-Satz – grundsätzlich anerkennungsfähig ist, auch wenn das BMF-Schreiben vom Februar 2023 restriktiver formuliert ist.